Freitag, 15. Februar 2013

Warum wir ein digitales Ehrenamt brauchen

Nach dem Lesen dieser Überschrift werden sich die Leser hier vermutlich in zwei Lager aufspalten. Die einen werden sich fragen was so  ein "digitales Ehrenamt" überhaupt sein soll und die anderen werden in Gedanken bereits einen Kommentar verfasst haben in dem sie darauf hinweisen, dass wir in allein in Deutschland tausenden von Open Source Entwicklern haben und man diese durchaus als ehrenamtlich tätig bezeichnen könnte.Dies ist soweit auch korrekt, trifft aber nicht ganz das was ich meine. 

Um das genauer zu erläutern sollte ich zuerst erwähnen, dass ich seit meiner Kindheit immer nebenher auch klassischen Ehrenämter ausgeübt habe. Darunter war zuletzt eine Mitgliedschaft in einer Freiwilligen Feuerwehr und aktuell die Mitgliedschaft bei einer großen Hilfsorganisation in Deutschland. Ich habe hier immer wieder sehr engagierte Menschen kennen gelernt und ich bin der festen Überzeugung, dass viele Menschen (und darunter leider auch die meisten Politiker) vermutlich gar nicht wissen was ohne diese Menschen alles zusammenbrechen würde. Genauso wie viele Menschen vermutlich gar nicht wissen wieviel in unserem Alltag von Open Source Software abhängt. Aber die klassischen Ehrenämter und die Open Source Gemeinde waren in meiner Wahrnehmung bisher sehr getrennte Lager. Ich habe bisher nur sehr wenige Menschen kennen gelernt die sowohl in einem klassischen Ehrenamt tätig waren als auch aktiv in Open Source Projekten mitgewirkt haben. Und das ist aus meiner Sicht nicht nur schade, sondern führt auch zu vielen verpassten Chancen.


In den letzten Tagen erreichte mich eine Email eines hauptamtlichen Mitarbeiters der Organisation in der ich Mitglied bin. Darin beschrieb er wie der aktuelle Anmeldeprozess für die Angebotenen Kurse läuft. Die Kurslisten, Teilnehmerlisten und alles weiteren zur Organisation benötigten Daten werden demnach bei ihm lokal in einer Access-Datenbank gespeichert. Neben der klassischen Papieranmeldung ist es mittlerweile aber nun auch möglich sich über ein Web-Formular anzumelden. Die in diesem Formular eingegeben Daten erreichen den Kollegen dann per Email und er tippt sie händisch in seine Datenbank. Ich mache an dieser Stelle eine kurze Pause damit alle Softwareentwickler die Zeit haben ihre Hand zum Gesicht und wieder zurück zuführen...
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Ja, ihr habt richtig gelesen. Die große HO (Hilfsorganisation) bei der ich tätig bin hat zwar ein Webformular zur Verfügung gestellt um den Anmeldeprozess zu modernisieren, aber bei dem Webformular hörte der Denkprozess anscheinend bereits auf. Außer das Papier durch eine Email zu ersetzen ist nichts geschehen. Weder für die Teilnehmer noch für den Organisator. Die Anfrage meines Kollegen bestand natürlich darin ob jemand über ausreichend VBA-Kenntnisse verfügt um diese Emails von Outlook in die Access-Datenbank zu pumpen. Um das gesamte Ausmaß dieser verpassten Chance zu begreifen muss man noch dazu wissen, dass beinahe jeder lokale Verband eine Ausbildungsabteilung hat. Das bedeutet über Deutschland verteilt gibt es ein und denselben Prozess vermutlich hundert oder mehr Male. Zu Papierzeiten war das kein Problem ein solch dezentralen Prozess zu haben. Aber in diesem Prozess einfach nun das Papier durch eine Email zu ersetzen ist eine verpasste Chance. Hier hätte man wunderbar eine Plattform für die Verwaltung von Kursen, Teilnehmern, Ausbildungsräumen und Material etc. schaffen können. Anstatt, dass nun ca. hundert Mal der gleiche Prozess dezentral implementiert wird. Die Nachteile werden jedem IT-ler bekannt sein. Wie sieht es mit dem Datenschutz aus (die Anmeldungsmails sind natürlich nicht verschlüsselt und enthalten allerlei persönliche Informationen)? Was passiert wenn der Kollege krank ist und jemand anderes seine Aufgaben übernehmen muss? Wie sieht es mit Backups aus, was passiert wenn der Rechner des Kollegen defekt ist? Was macht jemand der diesen Prozess übernehmen muss? All diese Dinge wurden bei der bereitstellung des Webformulars offentsichtlich nicht bedacht.
Dies soll hier übrigens kein Rant gegen die HOs werden. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die Menschen in den HOs überaus engagiert und auch professionell arbeiten. Aber wie auch viele Unternehmen ist zumindest die HO in der ich tätig bin noch nicht im Informationszeitalter angekommen.
Die oben geschilderte Situation ist nur ein Beispiel. Es gibt viele andere Bereichen in denen es sogar viel Dringender ist, dass wir gute Open Source Software bekommen. Zum Beispiel in der Verwaltung und Führung von Einsätzen wird bisher teure prorietäre Software eingesetzt. Es ist kein Datenaustausch mit den Programmen anderer Hersteller möglich, spezifische Anpassung an lokale Prozesse und Eigenheiten sind zumindest teuer oder auch unmöglich und um ehrlich zu sein ist die Software die ich bisher in dem Bereich gesehen habe auch einfach schlecht. Ich kann es nicht anders ausdrücken. Die Sicherheit ist entweder fraglich oder ganz offensichtlich nicht vorhanden, das UI ist vorhanden, aber mehr auch nicht und selbst die Stabilität ließ meistens sehr zu wünschen übrig. Aber welche Alternativen gibt es aktuell? Leider keine brauchbaren.

Man sieht also, dass es noch viel zu tun gibt die HOs (und auch die Feuerwehren) wirklich ins 21. Jahrhundert zu holen. Aber warum ist das bisher nicht geschehen? Man sieht doch durchaus, dass die Open Source Gemeinde zu großem fähig ist wenn eine Katastrophe eintritt. Man denke nur daran was OSM-Mapper bereits in Katastrophengebieten geleistet haben. Warum haben wir keine aktiv Open Source Community die Dinge baut wie Patientenverwaltung für Behandlungs- und Betreuungsplätze oder Software für Einsatztagebücher oder auch einfach mal einen simplen Anmeldeprozess für Kurse?

Hierzu gibt es sicher viele Theorien, von denen die meisten vermutlich nur ein Teil der Wahrheit sind. Mein Teil der Wahrheit liegt in den Unterschieden zwischen den Strukturen und Arbeitsweisen in den HOs und der Open Source Gemeinde. In der Open Source Gemeinde werden Änderungen und Neuerungen im Allgemeinen begrüßt. Es wird viel experimentiert der Zugang zur "Aufgabe" ist eher spielerischer Natur. Dagegen merkt man den HOs schon recht stark, dass die Strukturen und Prozesse sehr hierarchisch geprägt sind. Änderungen und Neuerungen werden meistens skeptisch betrachet. Fortschritt findet maximal inkrementell statt und experimentiert wird eigentlich gar nicht.

Für einen Entwickler klingt das furchtbar und öde. Aber man muss hier auch sehen, dass viele Strukturen und Prozesse in den HOs quasi evultionär über lange Zeiträume entstanden sind sich bewährt haben. Die Prozesse müssen äußerst robust und redundant sein da sie ja auch im Katastrophenfall funktionieren sollen. Man sieht schon, dass wir hier zwei Grundverschiedene Welten haben. Aber ist das ein Grund weshalb die Open Source Gemeinde die HOs und damit auch Bereiche wie den Katastrophenschutz, Rettungsdienst etc. meiden sollte? Ich hoffe das niemand so denkt. Open Source war schon immer etwas sehr ideelles und hat viel verändert und verbessert. Warum nicht also auch die Bereiche in denen HOs tätig sind?

In dem Verband in meiner Stadt bin ich mir ziemlich sicher, dass ich aktuell der einzige Open Source Entwickler bin. Und ich bin im Prinzip auch nur da, weil mein ehrenamtliches Engagement älter ist als meine Leidenschaft für IT. Die Frage ist also wie kann man IT-ler für die Probleme der HOs begeistern? Spannend genug sind die Probleme meiner Meinung nach. Aber ich glaube nicht, dass es möglich ist mit den bestehende Strukturen und dem bisherigen Recruitment der HOs viele IT-ler zu ködern. Wir brauchen hier andere Strategien. 
Zum einen bekommt der klassische IT-ler vermutlich gar nicht viel vom Recruitment der HOs mit. Klassischerweise besteht das aus Plakaten in der Nähe der Standorte, eventuell mal Infoständen auf Stadtfesten und ähnlichem und der allgemeinen Präsenz durch Sanitätsdienste. Auf den Plakaten und Flyern die so in die Öffentlichkeit gelangen werden viele positive Aspekte des Ehenamts dargestellt. Aber hier fehlt der besondere Reiz für IT-ler. Menschen helfen ist sicher eine wichtige und tolle Sache, aber das ist im Prinzip kein zu lösendes Problem. Der Prozess scheint ja zu funktionieren und benötigt halt nur ausreichend Resourcen. Dass dieser Prozess aber seit einem halben Jahrhundert unverändert ist und mit moderner Technologie stark verbessert werden könnte wird nach außen sehr selten kommuniziert. Ist ja auch logisch, dass niemand zugeben möchte, dass sein Prozess verbesserungswürdig ist. 
Aber genau das ist es was IT-ler wollen. "Fixing things that ain't broken". Es wäre zwar fatal in der Außendarstellung zu sagen, dass die Prozesse im Katastrophenschutz oder im Rettungsdienst verbesserungswürdig sind, aber wir müssen es trotzdem schaffen zu zeigen, dass man auch hier etwas reparieren kann, dass gar nicht kaputt ist.
Aber selbst wenn wir das irgendwie schaffen, muss der Recruitmentprozess angepasst werden. Warum nicht mal auf lokalen IT-Messen, Konferenzen anfragen ob man sich dort mit einem Stand präsentieren darf? Den interessierten Entwicklern zeigen, dass es die HOs überhaupt gibt und was es dort alles spannendes zu tun gibt? 

Wenn man dann aber nach spannenden Gesprächen und erfolgreichem Networking einige interessierte Entwickler hat, was tut man dann mit ihnen? Der bisherige Prozess einer klassischen Mitgliedschaft ist hier sicher nicht zielführend. Wenn ich mich dafür interessiere in speziellen Open Source Projekten mitzuwirken dann möchte ich wahrscheinlich gar nichts über Medikamente, Verbände und Infusionen lernen. Ich möchte die Prozesse kennen lernen, die ich verbessern soll. Ich möchte an der Software arbeiten wenn ich die Zeit und Muße dafür habe und nicht am "Allgemeinen Softwarepflegeabend des lokalen Verbandes" jeden Donnerstag um 19:00. Dafür könnte z.B. ein neuer Mitgliedstyp eingeführt werden. Dieser wäre dann auch nicht zwingend Mitglied eines lokalen Verbandes sonder quasi eines virtuellen bundesweiten Verbandes. Im Prinzip müsste dieser Verband von der Funktionsweise her z.B. in Richtung der Apache Software Foundation gehen. Dadurch könnte man interessierte Entwicklern steuern und bündeln. Und hätte in Zukunft die Resourcen vernünftige Software zu entwickeln. Mit offenen Standards und offenen Sourcen.

Dieser Text beschreibt natürlich nur einige fixe Ideen von mir und wird un Zukunft vielleicht noch überarbeitet werden (vor allem wenn es Feedback geben sollte). Aber dieser Text soll auch vielmehr meinen Zwispalt zeigen. Einerseits sehe ich, dass die HOs funktionieren und das vor allem aufgrund von engagierten Menschen. Andererseits kann ich mich gar nicht so viel fazialpalmieren wie es nötig wäre sobald ich in Kontakt mit IT in diesem Bereich komme. Aber neben der Tatsache, dass es alleine praktisch unmöglich ist die ganze Software zu schreiben die hier Sinn machen würde muss auch in den Köpfen von vielen Entscheidern noch viel passieren. IT darf nicht mehr nur als "Papierersatz" gesehen werden. Aber das wird nicht passieren solange die gesamte Open Source Gemeinde für die HOs praktisch nur in einer unsichtbaren Parallelwelt existiert.

Feedback, Kritik und Ideen sind wie immer erwünscht.

3 Kommentare:

Hannes Jähnert hat gesagt…

Hallo Till,

hier das gewünschte Feedback: Toll! Super Artikel. Ein paar unleserliche Zeichenreihenfolgen aber sonst wirklich gut.

Du sprichst hier ein Thema an, dass im angelsächsischen Volunteer-Management bereits sein einiger Zeit unter dem Label "Tech-Volunteersim" verhandelt wird. Schau' z.B. mal im Blog von Jayne Cravens oder auf der Webseite www.serviceleader.org vorbei.

Ich für meinen Teil beschäftige mich schon eine ganze Weile mit dem Interneteinsatz im freiwilligen Engagement, sowie dem Online-und Micro-Volunteering. Das ist ein ganz ähnlich gelagertes Thema, wenngleich nicht nur Techies als Freiwillige adressiert werden. Auch hier stoßen zwei Welten aufeinander, auf der einen Seite die Digital Natives auf der anderen die Imigrants und Outsider (dazu gibt es eine wunderbare Studie vom Deutschen Institut für Sicherheit und Vertrauen im Internet).

Soweit mein -- aus zeitgründen etwas fragmentarischer -- Kommentar. Würde mich freuen mehr von dir zu hören.

Gruß
Hannes Jähnert

(Kontakt siehe Webseite)

Björn Vetter hat gesagt…

Hallo Till,

es sind interessante Ausführungen und Gedanken, die Du hier geäußert hast. Als Referatsleiter in einem Landesverband der HiOrg - und ich gehe sehr davon aus, dass wir von der gleichen sprechen - stehe ich in einigen Bereichen genau vor diesen Problemen.

Es ist nicht so, dass es an Projekten und Ideen mangeln würde. Der Knackpunt ist vielmehr die Finanzierung bzw. die tatsächliche Bereitwilligkeit, sich kostenfrei, also quasi ehrenamtlich, um beim deutschen Wording zu bleiben, zu engagieren. Im Bereich der Breitenausbildung verwirklichen wir derzeit ein Projekt, allerdings als Entwicklungsarbeit gegen entsprechenden monetären Aufwand. Meine Suche nach "Tech-/Online-Volunteers" blieb leider erfolglos. Der Aufwand/die Verantwortung/die Verbindlichkeit usw. seien zu groß war die einhellige Antwort der Web-Entwickler, die ich angefragt habe. Zugegeben, die Reichweite meiner Anfragen ist vergleichsweise gering, da sie sich auf persönliche Gespräche beschränkte.

Sicherlich hast Du recht, dass die Strukturen in den HiOrg, nicht zuletzt auch aufgrund der föderalen Prinzipien, stark hierarchisch geprägt sind. Für mich stellt sich aber trotzdem eine andere Frage: Wie finde ich Kontakt zu Volunteers, wenn ich tatsächlich Projekte hätte, die es zu verwirklich gilt? Soziale Medien sind hier ein Glücksspiel, die Viralität entsprechender Anfragen ist sehr stark abhängig vom eigenen Netzwerk bzw. der "Fanbase" der HiOrg und deren eigenen Interessen. Eine erfolgreiche Plattform, um HiOrg und Online-Volunteers zusammen zu bringen, ist mir bis jetzt nicht bekannt.

An derzeit offenen Projekten alleine in meinem Bereich könnte ich hier drei nennen:

- einfache, zentrale Plattform zur Prüfungsan- und -abmeldung mit 4 Zugriffsleveln
- Datenbank zur Erstellung einer tagesaktuellen Alarmierungsliste
- internetgestützte Hilfsgüterbörse zur Erfassung von Hilfsgütern aus dem Bereich Krankenhaus/Pflege auf der einen und der zugriffsbeschränkten Nachfragerebene (andere Verbände/Ausland) auf der anderen Seite

Ich befürchte, dass wir auch hier wieder den Weg über "hauptberufliche" Programmierer gehen werden müssen - aus diesem Grund liegen die Projekte derzeit auf Eis.

Falls Du Ideen dazu hast, nur zu! ;-)

Viele Grüße

Björn Vetter

gutscheine zum ausdrucken hat gesagt…

guter Kommentar

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